Die oftmals zu hörende Aussage „Kinder
haften nicht im Straßenverkehr“ ist so nicht richtig.
Vielmehr können auch Minderjährige für einen
von ihnen verursachten Schaden im Straßenverkehr haftbar sein.
Das zeigt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts
(OLG) Celle im Fall eines achtjährigen Kindes. Das Kind nimmt seit seinem
fünften Lebensjahr mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teil. Während des
Sommerurlaubs fuhr es auf einer Uferpromenade mit dem Fahrrad. Die Eltern
gingen in Ruf- und Sichtweite einige Meter zu Fuß hinter dem Kind. Während das
Kind vorwärts fuhr, sah es sich über einen längeren Zeitraum nach hinten zu den
Eltern um. Dabei steuerte es auf eine Fußgängerin zu. Die Eltern warnten das
Kind durch Rufe. Das Kind bremste daraufhin stark ab. Es kam daher nicht zum
Zusammenstoß mit der Fußgängerin. Diese stürzte jedoch bei dem Versuch, einen
Zusammenstoß mit dem Kind zu verhindern. Dabei verletzte sie sich. Vor Gericht
verlangte sie Schadenersatz und Schmerzensgeld von dem Kind und dessen Eltern.
Das Landgericht hat ihre Klage
abgewiesen. Auf ihre Berufung hat das OLG die Entscheidung des Landgerichts
teilweise geändert und das Kind verurteilt, Schadenersatz und Schmerzensgeld zu
zahlen. Ein Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes bestehe demgegenüber
nicht, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hätten.
Die Richter haben in ihrer Entscheidung
noch einmal die Voraussetzungen dafür dargelegt, unter denen Kinder für von
ihnen verursachte Schäden haften. Nach dem Gesetz sind Minderjährige unter
sieben Jahren für anderen zugefügte Schäden nicht verantwortlich. Solange sie
keine 10 Jahre alt sind, haften Kinder auch nicht für Schäden durch einen
Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder im Schienenverkehr. Von sieben bis 17
Jahren haften Minderjährige aber für solche Schäden, die sie einem anderen
zufügen, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis
der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besitzen. Dazu genügt die
Fähigkeit des Kindes, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein
Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.
Für den vorliegenden Fall kam es nach
Ansicht der Richter darauf an, ob einem altersgerecht entwickelten achtjährigen
Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im
Straßenverkehr Fahrrad fährt, bewusst sei, dass es während der Fahrt nach vorne
schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken darf. Wenn
das Kind hätte voraussehen können und müssen, dass die an den Tag gelegte Fahrweise
auf der Promenade befindliche Fußgänger verletzen konnte, habe es auch die
Gefährlichkeit seines Handelns in der konkreten Situation erkennen und sich
dieser Erkenntnis gemäß verhalten müssen. Das Gericht war auch aufgrund der
persönlichen Anhörung des Kindes davon überzeugt, dass diesem zum
Unfallzeitpunkt bewusst gewesen sei, dass es ein Fehler ist, während des
Fahrradfahrens über einen längeren Zeitraum die Blickrichtung vom Fahrweg nach
hinten abzuwenden. Das konkrete Verhalten des Kindes sei auch nicht aufgrund
einer plötzlich auftretenden Situation reflexhaft ausgelöst gewesen (wie z. B.
das Nachlaufen hinter einem Ball auf die Fahrbahn). Deshalb sei das Kind für
die von der Fußgängerin erlittenen Verletzungen verantwortlich und habe den
dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen.
OLG Celle: Urteil vom 19.2.2020, 14 U
69/19
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